Vor Jahren musste ich mich entscheiden, ob ich mit dem Postschiff zum Nordkap reisen möchte oder lieber, in Begleitung eines italienischen Fotografen nach Stromboli. Beide Reisen waren für Oktober geplant. Den Ausschlag gab schließlich meine Sehnsucht nach den letzten Sonnenstrahlen des Sommers und die Erinnerung an den Film Stromboli – Land Gottes, eine dramatische, in schwarz-weiß gedrehte Schicksalsgeschichte – im Schatten des mächtigen feuerspuckenden Vulkans. Was mich allerdings besonders faszinierte, war die Liebesgeschichte zwischen dem Regisseur Roberto Rossellini und der Hauptdarstellerin Ingrid Bergmann. Sie begann auf Stromboli, damals, Ende der 1940er Jahre, in einem einfachen Haus ohne Strom und fließendes Wasser.
Die Affäre löste im katholischen Italien einen Skandal aus. Beide waren mit anderen Partnern verheiratet. Eine Insel, die nichts anderes ist als die Spitze eines Vulkans, löst bei allen Menschen starke Emotionen aus. Auch bei mir. Als ich damals mit Aldo Aquadro zum ersten Mal dort ankam, fühlte ich mich anders, weit entfernt vom Alltag, hautnah an der Urgewalt der Natur. Ende September, Anfang Oktober ist übrigens, genau wie Mai und Juni, eine besonders schöne Zeit für die Insel.
In der ersten Zeit habe ich zweimal im Jahr diverse Häuser am Meer gemietet. Immer groß genug für Freunde und Familie. Bis ich Mischa Wegner kennenlernte, den Besitzer der Mühle am Meer, die ich schon häufig vom Boot aus fotografiert hatte. Für die nächsten Jahre konnte ich diesen romantischen Rückzugsort jedes Jahr im Mai und im September mieten. Die vielen wundervollen Sommer, die ich dort verbringen durfte, zählen zu den schönsten Erinnerungen in meinem Leben.
Mischa ist der Sohn von Armin T. Wegner, der sich zu Lebzeiten als Lyriker, Schriftsteller, Pazifist, Volksredner und Kriegsverweigerer bezeichnete. Er führte ein abenteuerliches Leben, verdiente sein Geld als Hafenarbeiter in Marseille, nahm Schauspielunterricht bei Max Reinhardt, reiste als Reiseberichterstatter um die Welt.
Ein Protestbrief, den er im April 1933 an Hitler schrieb, veränderte sein Leben dramatisch. Die darauffolgende Haft im Konzentrationslager traumatisierte ihn bis zum Tod. Frieden fand er erst in Positano, an der Seite seiner zweiten Frau, der bekannten Keramikkünstlerin Irene Kowaliska, und auf Stromboli, wo er 1954 eine stillgelegte Getreidemühle erwarb.
1978, als ich Mischa kennenlernte, war sein Vater schon gestorben, die Mutter lebte in Rom und Positano. Die Mühle benutzte er viele Jahre als Feriendomizil, , ansonsten lebte er mit seiner Frau Laura und fünf Kindern in Rom, wo er bis heute zu Hause ist. Seit einem Umbau 2016 wird die Mühle als Ferienhaus vermietet.
Es wurde renoviert und modernisiert, aber der Charme des Hauses blieb erhalten. Meine früheren Lieblingsorte: mein kleines, etwas separat gelegnenes Zimmer neben dem trutzigen Turm, das heute Levant genannt wird, die Küche mit Fenster zum Meer und über allem die große Terrasse, die absolute Pole Position für Sonnenauf- und untergang. Und klare Nächte unter funkelnden Sternen. Für alle, die das Haus mieten möchten, gilt im Sommer ein Mindestaufenthalt von vier Tagen.
Mehr Informationen: www.casavacanzestromboli-ilmulino.it
Wo man die Insel findet: Sie gehört zum nördlich von Sizilien im Tyrrhenischen Meer schwimmenden Archipel der Äolischen oder Liparischen Inseln, die es bis vor 500 000 Jahren hier noch nicht gab. Genau weiß man nicht, wann und in welcher Reihenfolge ein tief unter dem Meeresspiegel ruhender vulkanischer Gebirgszug die sieben Inselchen ausgespuckt hat. Sicher scheint, dass der Strombolicchio, ein in Sichtweite von Stromboli steil aufragender Felsen als Erster zu sehen war.
Obwohl es verboten ist, klettern immer wieder Liebespaare zum alten Leuchtturm hoch und kratzen, so wie ich vor vielen Jahren, ihre Namen in das marode Mauerwerk. Besiedelt wurden die Inseln rund 2000 Jahre v.Chr., also in der Bronzezeit. Der griechischen Mythologie zufolge gewährte Äolos, der Gotte der Winde, der angeblich auf Stromboli wohnte, dem herumirrenden Odysseus Unterschlupf. Glaubt man Homer, so gab er ihm noch einen Riesenbeutel voller Wind mit auf die Reise, der sich allerdings mit solcher Kraft entlud, dass der arme Zeus gleich wieder orientierungslos war. Äolos ist bis heute rund um die Inseln aktiv und kann dafür sorgen, dass sie aus Wettergründen für eine kleine Weile von der Außenwelt abgeschnitten sind.
Zu Zeiten, als Ingrid Bergmann für Aufsehen sorgte, trugen die heute überwiegend weiß gekalkten würfelförmigen Häuser das Grauschwarz des Lavagesteins. Das gilt auch für die sechs Schwestern: die Hauptinsel Lipari, die drei kleineren – Salina, Vulcano und Panarea sowie die vollkommen autofreien Winzlinge Alicudi und Filicudi.
Was man vom Meer aus erkennen kann, ist die 950 Meter hohe Spitze eines großen Vulkans. Er ruht mit dem über den Dächern von Neapel thronenden Vesuv und dem Ätna an der Ostküste von Sizilien auf einem gemeinsamen Hotspot. Dabei ist der Stromboli der einzige, der regelmäßig ausbricht. Tag für Tag und Nacht für Nacht das gleiche Schauspiel, wenn ca. alle 20 Minuten glühende Lava-Fontänen und Rauch in den Himmel steigen. Eine nächtliche Bootstour ist ein absolutes Must.
Seit ich die Insel kenne, blieb die Zahl der Restaurants ziemlich stabil. Meine Favoriten: die Trattoria Il Canneto, die einfache Pizzeria La Lampara und zu besonderen Anlässen das Restaurant meines Freundes Franco Zurro, der besonders gut kocht, wenn er gutgelaunt ist und der selbst noch gelegentlich fischen geht.
Bootausflüge nach Ginostra, dem kleinen Ort auf der anderen Seite des Vulkans, sind Pflicht. Der winzige Hafen ist eigentlich nur eine Art Anlegeplatz. Während es im Hauptort Vespas, Elektro-Carts und die traditionelle Ape auf drei Rädern gibt, sind Esel in Ginostra das einzige Verkehrsmittel.
Im Laufe der Jahre ist überall die nächste Generation herangewachsen. Das gilt auch für meinen Freund Gioacchino Letizia und seine Tochter Delfina. Die Boutique am langen Strand von Ficogrande war von jeher ein besonderer Treffpunkt. Gemeinsam auf dem Mäuerchen zu sitzen und je nach Tageszeit einen Caffè zu trinken oder einen Gin Tonic, ist eine geliebte Routine, bevor man sich den begehrlichen Waren zuwendet. Über die vielen Jahre habe ich einige T-Shirts gerettet, Pareos, Strohhüte, Keramikschüsseln und vor allem ein gutes Dutzend der fantasievoll gerahmten Bilder, die der Frankfurter Maler Jürgen Wegner jeden Sommer beisteuerte.
Ein wahres Glück, dass die Bar des Park Hotel Sirenetta gleich nebenan ist und der sympathische Besitzer Vito Russo hin und wieder ein paar leckere Häppchen offeriert. Die Boutique steht inzwischen unter der Regie von Delfina, die als Absolventin der Mailänder Modeschule seit 2015 ihre eigene Kollektion entwirft. Unkompliziert, feminin, sommerlich. Auch das restliche Repertoire kann sich sehen lassen. Von Mai bis September ist sie vor Ort, der Vater unterstützt sie.
Es gibt noch einen Ort, der mich eng mit der Insel verbindet: das Hotel La Sciara. Ursprünglich die Liebesgeschichte zwischen einem wohlhabenden Aristokraten und einer schönen jungen Frau, die dazu führte, dass mehrere kleine Fischerhäuser am Meer zu einem stilvoll-romantischen Hotel zusammengeführt wurden. Unvergessen der Pflanzenflüsterer Cesare, der den Garten in ein Paradies verwandelte. Wobei ein Affe und zwei Papageien das Bühnenbild bereicherten. Dort saßen wir jeden Mittag am Pool und ließen uns mit Pasta, Fisch und sizilianischen Weißweinen verwöhnen. Das Hotel wurde verkauft, die Familie hat die Insel verlassen, die wenigsten Dinge sind für immer. 2018 bekam es ein totales Facelift. Ich war seither nicht mehr dort, glaube jedoch, dass man es empfehlen kann.
Dass das Villagio Stromboli seit 1985 von der gleichen Familie geführt wird, spricht für Erfahrung im Umgang mit Gästen. Ich habe einmal in einem der kleinen Bungalows mit Terrasse zum Meer gewohnt und war sehr zufrieden. Ich weiss nicht genau, wie es heute ist. Damals entsprach das Frühstück dem typisch italienischen Standard, mit abgepacktem Brot und Dosenmarmelade. Was mich nicht gestört hat. Man ist schließlich nicht in Positano. Außer mengenweise Kapern, goldfarbenen Malvasiatrauben, Zitronen, Feigen und ein paar einfachen Gemüsesorten wächst hier kaum etwas. Alles kommt per Schiff, auch das Wasser.
Früher mussten wir mit dem Aliscafo (Tragflügelboot) nach Lipari, wenn wir Geld brauchten. Egal aus welchem Grund man dort war, ein Pranzo bei Filippino war unumgänglich. Ich weiß nicht, wie oft ich das Museo Archeologico Eoliano besucht habe, das ganz in der Nähe in der in der Stadtburg aus dem 17. Jahrhundert untergebracht ist. Zwischen alten Amphoren und Hunderten anderen Relikten aus griechischer und römischer Zeit gibt es in den 40 Räumen immer wieder etwas zu entdecken. Wie so häufig, war das Restaurant früher eher bescheiden und gut bezahlbar, obwohl Dekoration und Service von Anfang an Klasse hatten. Heute steht Antonio Bernardi in vierter Generation in der Küche, was dem Guide Michelin eine Erwähnung wert ist. Damals wie heute auf der Karte: die Zuppetta del Nonno Filippino, eine kräftige Fischsuppe mit Tomate, Basilikum, Petersilie, Peperoncino und kleingeschnittenen Fettucini.
Damals wie heute ist die Küche des Filippino ein Meltingpot der Kulturen. Schließlich sind die Inseln ein Teil von Sizilien, wo diverse Eroberer ihre kulinarischen Spuren hinterlassen haben. Unter den Zeitzeugen: Zimt, Safran, Zitrusfrüchte, Nelken, Kapern und natürlich Wein. Von letzterem hat Antonio 180 Etiketten im Weinkeller.
Infos & Adressen
Hotels etc.
Il Mulino Bed & Breakfast
Man kann die vier Zimmer einzeln buchen, aber auch das ganze Haus mieten.
Bei schönem Sommerwetter spielt sich alles auf der Terrasse ab, an kühlen Abenden trifft man sich im Salon und im Esszimmer.
La Sciara
61, mit sizilianischen Antiquitäten und schönen Bildern dekorierte Zimmer und Apartments – mit Garten- oder Meerblick. Bar und Restaurant Cala dei Balordi am Pool. Meerwasserpool.
www.hotellasciara.it Man kann das Hotel in Kombination mit Flug bei Tui buchen.
Villagio Stromboli
Die Lage am Meer gibt hier den Ausschlag. Es gibt 37 Zimmer in diversen Bungalows. Gute Inselküche, romantische Abende unter dem leuchten Sternenhimmel. www.villagiostromboli.it
Man kann das Hotel in Kombination mit Flug bei ltur buchen, www.ltur.com
Essen & Trinken
Ristorante Da Zurro
Innovative sizilianische Küche. Es gibt keine Speisekarte, der Küchenchef spricht Empfehlungen aus.
Via Picone 18
Tel. +39090-98 62 83
Il Canneto
Sizilianische Hausmannskost nach traditionellen Insel-Rezepten. Am Vormittag kommt man auf ein Brioche und Caffè vorbei, zu jeder Zeit für ein köstliches Gelato. Die Familie Calazzone empfängt hier seit 40 Jahren viele Stammgäste.
Via Roma
Tel. +39090-98 60 04
La Lampara
Man sitzt auf einer erhöhten Terrasse im Grünen. Auf der Speisekarte stehen traditionelle Pasta-Gerichte und vor allem klassische Pizza-Variationen aus dem Holzkohleofen. Zum Restaurant gehört auch ein Bed & Breakfast.
Via Vittoriio Emanuele 27
Tel. +39339-738 98 49
Shopping
Gioacchino Boutique
Seit 1973 eine Institution gegenüber dem Strand von Ficogrande. Man findet hier Badesachen und Sonnenhüte, aber vor allem Blusen, Röcke und Kleider aus der Kollektion von Delfina Letizia.
Via Monsignor Antonio di Matina 28
Lipari
Ristorante Da Filippino
In Kombination mit einem Besuch des Museo Archeologico Eoliano (Via Castello 2) ist ein ausgedehntes Mittagessen unter Regie von Küchenchef Antonio Bernardi ein Fest für alle Sinne.
Piazza Giuseppe Mazzini
Tel. +39090-981 10 02
Anreise
Entweder per Flug nach Neapel und mit dem Aliscafo (Tragflügelboot) in vier Stunden beziehungsweise mit der Fähre in ca. neun Stunden über Nacht nach Stromboli.
Oder per Flug nach Catania, mit dem Bus (ca.1 Stunde) nach Milazzo und von dort aus mit dem Aliscafo über Lipari nach Stromboli (ca. 1 Stunde).
Infos: www.liparische-inseln.it